Die Kinder der Reformation
Am 31. Oktober feiern wir den Reformationstag. Doch was hat das mit uns und unseren Schulen zu tun? Die Antwort ist denkbar einfach und ebenso kompliziert.
Die Reformation war eine tiefgreifende religiöse, aber auch gesellschaftliche Bewegung im 16. Jahrhundert, die das Christentum in Europa nachhaltig veränderte. Maßgeblich ausgelöst wurde sie durch Martin Luther, der im Jahr 1517 mit seinen 95 Thesen die Missstände in der Kirche kritisierte. Ein zentrales Anliegen Luthers war die Rückbesinnung auf die Bibel als alleinige Grundlage des Glaubens. Am Ende führte die Reformation zur Spaltung der Kirche und zur Entstehung einer neuen, der evangelischen Konfession.
Mit dieser tiefgreifenden Veränderung des religiösen Lebens setzte Luther auch gesellschaftliche Veränderungen in Gang, die die Welt, wie wir sie heute kennen, prägte: Im Jahr 1524 wandte sich der Reformator mit seiner sogenannten Ratsherrenschrift auch an die weltliche Obrigkeit. Er forderte die Ratsherren in allen deutschen Städten auf, Evangelische Schulen zu gründen und Bildung auch für Mädchen zu ermöglichen. 
Luther sah in der Bildung den Schlüssel für eine individuelle religiöse Erneuerung und das Einfallstor zu einer mündigen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die Ratsherrenschrift zeigt, wie eng für Luther Religion und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verbunden sind. Insgesamt war die Reformation ein Wendepunkt, der nicht nur die Kirche, sondern auch die Politik, die Bildung und die Kultur veränderte.
Dass diese Forderungen nicht an Aktualität verloren haben, wurde im Rahmen eines Symposiums zum 500-jährigen Jubiläum der Ratsherrenschrift am Evangelischen Ratsgymnasium Erfurt im vergangenen Schuljahr eindrucksvoll deutlich. Wie bereits der Name erahnen lässt, ist diese Schulgründung auf eben jene Schrift Luthers zurückzuführen. Schülerinnen und Schüler verschiedener Leistungs- und Grundkurse der Oberstufe setzten sich intensiv mit Luthers Text auseinander und hinterfragten die heutige Bedeutung seiner Gedanken. In drei Interviews schilderten sie ihre Perspektiven auf Bildung, Sprache und gesellschaftliche Verantwortung – inspiriert von einem Text, der weit älter ist als sie selbst, und doch erstaunlich gegenwärtig wirkt. Die Gespräche dokumentieren nicht nur die Auseinandersetzung junger Menschen mit historischen Quellen, sondern auch den lebendigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie zeigen, wie Bildung Brücken zwischen Generationen schlagen kann – und warum es sich lohnt, Luthers Forderung nach einer umfassenden, gerechten Bildung heute neu zu bedenken.
Die Publikation zum Symposium des 500-jährigen Jubiläums der Ratsherrenschrift kann nun anlässlich des Reformationstages auf der Webseite der Evangelischen Schulstiftung abgerufen werden. Vielleicht eignet sich ja gerade der Reformationstag für die Lektüre und intensive Auseinandersetzung mit Luthers Ideen, die auch heute nicht an Bedeutung verloren haben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten Reformationstag, viel Freude beim Lesen und immer den Mut, Veränderungen anzunehmen und sich bewusst neuen Herausforderungen zu stellen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Dr. Ekkehard Steinhäuser
Stiftungstheologe 
