Von guten Vorsätzen und großer Barmherzigkeit

Liebe Leserinnen und Leser, habt Ihr Euch, haben Sie sich etwas für dieses neue Jahr 2021 vorgenommen? Als ich einige Schülerinnen und Schüler des Ratsgymnasiums nach ihren guten Vorsätzen und Wünschen für das neue Jahr 2021 fragte, schrieben sie mir die folgenden Antworten: 

  • Ich will demnächst mehr für die Schule machen und produktiver lernen. 
  • Ich möchte mir endlich wieder mehr Zeit nehmen, Klavier zu spielen. 
  • Ich möchte selbständiger werden und anderen Menschen offener begegnen und so neue Leute kennenlernen. 
  • Ich möchte die kleinen positiven Dinge im Alltag wahrnehmen und für sie dankbar sein. 
  • Eigentlich habe ich mir nichts für dieses Jahr vorgenommen, aber vielleicht ist das in der Lage, in der wir uns befinden, auch mal gut. Denn das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass wir unser Leben auf keinen Fall durchplanen können und vielleicht lässt man das Leben (ohne Vorsätze) dieses Jahr auf sich zukommen. Manchmal hält das Leben große Herausforderungen für einen bereit und wenn man diese gemeistert hat, ist man stolz darauf, es geschafft zu haben, auch ohne sich das im Vorhinein vorgenommen zu haben. 
  • Ich habe mir vorgenommen, mal wieder richtig Spaß auf einer Feier oder einem Konzert zu haben, sobald das Corona zulässt. Das vermisse ich sehr. 
  • Ich möchte mir klar werden, wie ich dieses Jahr verbringen möchte. Möchte ich vor meinem Studium verreisen? Möchte ich dieses Jahr überhaupt mit studieren beginnen? Und falls ja, bin ich mir bei meiner Entscheidung sicher? Ansonsten möchte ich mir als oberste Priorität setzen, dass ich meine Zeit mit Dingen verbringe, die mich glücklich machen und meine Aufmerksamkeit nicht so viel auf all die negativen Ereignisse zu richten. 
  • Ich bin immer zu faul, um mir was an guten Vorsätzen vorzunehmen. 
  • Ich möchte mich besser strukturieren und einen Schritt nach dem anderen gehen, um nicht in Stress und Arbeit unterzugehen. 

Die Jahreslosung für das Jahr 2021 „Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36) kann ebenfalls als solch ein guter Vorsatz oder Wunsch für das noch junge Jahr gelesen werden. Anders als es der Name vermuten lässt, wird die Jahreslosung nicht aus einer Vielzahl von Bibelstellen ausgelost. Vielmehr werden unterschiedliche Vorschläge diskutiert. Aus diesen wird dann eine Bibelstelle ausgewählt, die als Motto für das neue Jahr gelten soll – manchmal als Mutmacher, manchmal zum Nachdenken, manchmal als guter Vorsatz, um so das eigene Handeln zu überdenken.

Nun werden einige von Euch, von Ihnen sich vielleicht fragen, was mit „barmherzig“ eigentlich gemeint ist. Schließlich ist „barmherzig" ein Wort, das in unserem Alltagsgebrauch und in der Sprache der Schülerinnen und Schüler kaum noch Verwendung findet. „Barmherzig“ stammt ursprünglich vom althochdeutschen „armherzi“. Dies bedeutet buchstäblich „ein Herz für die Armen“ haben. In dem Gleichnis „Der barmherzige Samariter“ wird dies anschaulich erzählt:

„Einmal“ so erzählte Jesus, „ging ein Mann von Jerusalem nach Jericho hinab. Er wanderte an den steilen Bergen und tiefen Schluchten vorbei. Plötzlich kamen Räuber aus ihrem Versteck hervor. Sie stürzten sich auf den Mann, schlugen auf ihn ein, plünderten ihn aus und machten sich eilig davon. Da lag der Mann verlassen am Wegrand, halbtot. Doch plötzlich hörte er Schritte. Ein Priester kam den Weg herab. Er kam vom Tempel, wo er gebetet hatte. Der Priester wird gewiss helfen, hoffte der verwundete Mann. Aber der Priester rührte ihn nicht an. Er ging schnell weiter und ließ ihn im Dreck liegen. Stunden vergingen. Da hörte er wieder Schritte. Ein Levit kam vorüber. Auch er kam vom Tempel, wo er Gott gedient hatte. Der Levit wird gewiss helfen, hoffte der Mann. Aber der Levit blieb nicht einmal stehen. Er ging einfach vorbei. Viele Stunden vergingen. Der Mann hatte schon alle Hoffnung verloren. Da – plötzlich horchte er auf. Jemand ritt auf einem Esel das Tal herauf. Ein Fremder war es, ein Samariter. Der wird mir nicht helfen, dachte der Mann am Wegrand. Der gehört ja gar nicht zu unserem Volk! Aber nein! Der Mann traute seinen Augen nicht: Der Esel blieb stehen. Der Samariter stieg ab. Er kam auf ihn zu. ‚Du Armer!ʻ, rief der Samariter voll Mitleid. ‚Was haben sie mit dir gemacht?ʻ Und er beugte sich über ihn, wusch das Blut mit Öl und Wein ab und verband seine Wunden. Dann hob er ihn vorsichtig hoch und setzte ihn auf den Esel. Behutsam führte er ihn den steilen Weg hinauf und brachte ihn zur nächsten Herberge. Dort hielt er an. Er trug den Verletzten ins Haus und pflegte ihn. Am nächsten Morgen rief er den Wirt, gab ihm zwei Silbermünzen und bat ihn: ‚Sorge gut für den Mann! Und pflege ihn, bis er gesund ist! Und wenn du noch mehr Geld brauchst, will ich’s dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.ʻ“

Das Gleichnis kann eine Antwort darauf geben, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen sollen, denn die Botschaft der Erzählung von Jesus scheint klar: Schau hin. Höre nicht weg. Geh nicht vorbei, wenn jemand dich braucht. Steh deinem Mitmenschen mit Rat, Tat und Hilfe zur Seite. So könnte das Wort barmherzig modern gedeutet werden.

Wer nicht wegsehen will, muss offen und achtsam seinen Mitmenschen begegnen. Dafür bedarf es eventuell eines ruhigen und gelassenen Blicks auf seine Mitmenschen. Gestresst und an viele Aufgaben denkend, wird man vielleicht weniger auf seine Mitmenschen achten.

In dem Wort barmherzig ist aber auch das Herz enthalten. Das Herz ist das Organ, ohne das Leben nicht möglich ist. Im übertragenen Sinn ist das Herz eine Metapher für Liebe und Mitmenschlichkeit.
Menschen, die ein großes Herz haben, nehmen vielleicht manche Fehler oder Unzugänglichkeiten wahr, können diese aber stehen lassen oder über sie hinwegsehen. Oftmals bemerken diese Menschen die Not anderer und bieten Hilfe an.

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Mir möchte die diesjährige Jahreslosung für das vor mir liegende Jahr Mut machen, mein Herz einzusetzen für andere, die meine Hilfe brauchen. Ganz egal ob das bei uns in der Schule ist, in der Familie, im Freundeskreis oder überhaupt auf der Welt. Meinen Blick zu weiten und mein Herz zu öffnen, ist ein Vorsatz, der mir groß erscheint. Aber vielleicht kann man diesen schon mit kleinen Schritten umsetzen: Indem ich mich häufiger mal nach dem Wohlbefinden meines Gegenübers erkundige, mich bei einem Freund melde, von dem ich lange nichts hörte, lächele, auch wenn mir eine Person etwas zu nervig erscheint. Ich glaube, ich kann das, weil Gott mir das zutraut und er mir gegenüber genauso handelt.

Liebe Leserinnen und Leser, das neue Jahr 2021 hat gerade erste begonnen. Es bietet noch viel Zeit und Gelegenheit, guten Vorsätzen Raum zu geben und um barmherzig zu handeln.

Aus der Montagsandacht des Ev. Ratsgymnasium von Schulpfarrer Heiko Ackermann

(Die Erzählung vom Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist entnommen aus: Weth, Irmgard, 7x7 Geschichten aus der Neukirchener Bibel, Neukirchen 2000)